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Wie schreibt man Internationale Geschichte?


Empirische Vermessungen zum 19. und 20. Jahrhundert

Cover des Buches
  • Buch
  • Arvid Schors et al. (Hrsg.)
  • Frankfurt/Main: Campus, 2023. - 400 S.

Geschichtsschreibung ; Weltgeschichte ; Aufsatzsammlung

Der vorliegende Sammelband widmet sich der geschichtswissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Geschichte und bietet eine Zusammenstellung von empirischen Beiträgen zum 19. und 20. Jahrhundert. Doch was ist Internationale Geschichte überhaupt – und wie schreibt man diese? Die Herausgeber_innen wenden ein breites, durchlässiges Verständnis an und betonen etwa die Überwindung des Nationalstaats als fixe Analyseeinheit, die Ausdehnung auf bislang weniger beachtete Regionen und multiperspektivische Zugänge als Kennzeichen der Internationalen Geschichte. Weiters unterscheidet sie sich von Vorläuferprojekten wie der Diplomatiegeschichte bzw. der Geschichte der internationalen Beziehungen auch durch die Inklusion nichtstaatlicher Akteure. Dieses Verständnis teilen sie auch mit der Globalgeschichte und transnationalen Perspektiven der Geschichtsschreibung, wobei sich die Herausgeber_innen auf eine Akzentuierung der Differenzen nicht einlassen und stattdessen die Produktivität dieser – vergleichsweise jungen – Disziplinen betonen.

So abstrakt diese grundlegenden Gedanken zunächst wirken mögen, so konkret sind die empirischen Fallbeispiele im vorliegenden Band. Ausgehend von der These, dass sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine „Verdichtungsphase des Internationalen“ mitsamt kapitalistischer Expansion, Imperialismen und der Etablierung internationaler Institutionen beobachten lasse, beziehen sich die Beiträge allesamt auf das 19. und 20. Jahrhundert. Obwohl beide Jahrhunderte im Band einen eigenen Abschnitt mit zugeordneten Beiträgen bekommen, wird wiederholt ein Epochenzusammenhang betont, der klare Periodisierungen ablehnt und die in der Historiografie notwendigen Kategorisierungen sowie Zäsuren bewusst reflektiert. Ganz insgesamt ist der Zugang von „Wie schreibt man Internationale Geschichte?“ ein reflektierter, der Selbstverortungen vornimmt, Limitationen benennt und epistemische Kontexte berücksichtigt. Die einzelnen Beiträge schließlich entstammen nicht einem konsistenten Forschungszusammenhang, sondern illustrieren die Bandbreite von Methodenpluralismus und Themenvielfalt. Sie befassen sich etwa mit Ressourcenkonflikten und Umweltwissen in der Beringsee Ende des 19. Jahrhunderts, Kissingers Geheimdiplomatie während des Kalten Krieges, europäischen Exilregierungen während des Zweiten Weltkriegs oder Orchestertourneen um die Jahrhundertwende. Wenngleich die Mehrzahl der Beiträge europäisch bzw. transatlantisch fokussieren, finden sich doch auch einige Beiträge, die entwicklungspolitisch relevant sind und den Globalen Süden adressieren. Diese setzen sich konkret mit Netzwerken internationaler Zusammenarbeit bzgl. afrikaorientierter Kinderfürsorge sowie mit Pestizidexporten in Länder des Globalen Südens in den 1970er- und 1980er-Jahren als Schlüsselmoment für die Internationale Geschichte und moderne Umweltdiskurse auseinander. Abschließend betrachtet stellt „Wie schreibt man Internationale Geschichte?“ anschaulich und reflektiert die Breite (deutschsprachiger) international orientierter Geschichtsschreibung dar, welche Machtverhältnisse, Themenstränge, globale Asymmetrien und historische Wandlungen in einer verdichteten Welt sichtbar machen kann.