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Welten der Sklaverei


Eine vergleichende Geschichte

Cover des Buches
  • Buch
  • Paulin Ismard et al. (Hrsg.)
  • Verlagshaus Jacoby & Stuart, 2023. - 1192 Seiten

Beschäftigten sich die Geschichtswissenschaften lange Zeit selektiv mit einzelnen Perioden und Territorien der Sklaverei – vor allem dem transatlantischem Sklavenhandel und der Plantagensklaverei – so seien in den letzten Jahrzehnten zunehmend breiter angelegte Projekte und Publikationen zu beobachten, so der Herausgeber in seiner Einleitung. Diese haben unterschiedliche Ansätze und Ambitionen, sie mögen etwa die Abschaffung der Sklaverei im Sinne einer Fortschrittsgeschichte als letztendlichen Sieg der Menschenrechte über die Unmenschlichkeit akzentuieren oder Forderungen nach einer Geschichtsschreibung der Versklavten erheben. Ismards Projekt „Welten der Sklaverei“ folgt jedoch einer anderen Überzeugung: „Die Geschichte der Sklaverei ist keine andere Geschichte, und sie ist auch nicht die Geschichte der anderen.“ Erst durch die Anerkennung der gemeinsamen Sklavereigeschichte werde es einer Gesellschaft möglich, das gemeinsame Erbe zu reflektieren und sich neu zu definieren. Die vorliegende Publikation verdankt ihre Existenz einem internationalen Team von etwa 50 internationalen Forscher_innen, die zusammen eine „Geschichte der Sklaverei, die sich die Welt zum Maßstab nimmt“ schreiben und sich keinen engen Definitionen unterwerfen möchten. Anstelle von Begrifflichkeiten, die Sklaverei anhand eines Merkmals (etwa die gebräuchliche Negativdefinition von Sklaverei als Gegenteil der Freiheit) oder als Extrem innerhalb eines Kontinuums von Unfreiheit operationalisieren, schlägt Ismard vor, „Sklavereiverhältnisse an einem Bündel stets variierender Elemente zu erkennen.“ Während eine universal gültige Definition nun aussichtslos scheine, so berge dieses Verständnis dafür die Chance, Vieldeutigkeit produktiv zu nutzen, um wiederkehrende Zusammenhänge und historische Konfigurationen sichtbar machen zu können. Als „Geschichte der Sklaverei, die sich die Welt zum Maßstab nimmt“ versteht sich der Band ausdrücklich nicht als Globalgeschichte und verwehrt sich linearen Erzählungen, sondern betont Diskontinuitäten und ist danach bestrebt, „Erfahrungen, Zeitlichkeiten und Räume der Sklaverei zu pluralisieren.“ Der gewählte komparatistische Ansatz spiegelt sich in der grundlegenden Ordnung des Bandes wider, der in drei Abschnitten aufgebaut ist: In „Situationen“ finden sich Beiträge, welche konkrete Manifestationen von Sklaverei in spezifischen historischen Kontexten nebeneinander stellen, die gängige Periodisierungen und regionale Gruppierungen unterwandern. Behandelt werden dabei die Entstehung der Plantagensklaverei auf São Tomé und Príncipe im 16./17. Jahrhundert ebenso wie Gefangene zentralasiatischer Steppennomaden im 18./19. Jahrhundert, das Trugbild einer sklavenlosen Gesellschaft im Alten Indien, Sklaverei in der Wikingerzeit oder Arbeitsverhältnisse der globalisierten Textilindustrie in Indien. Das Zentrum des Bandes bildet der Abschnitt „Vergleiche“, in welchem unterschiedliche Kategorien wie Freilassung, Staats- und Strafsklaverei, Körper, Aufstände, Mobilität oder Stadt als Perspektiven dienen, um die vielfältigen Ausformungen von Sklaverei zu vergleichen und ihre Besonderheiten zu kennzeichnen. Der dritte Abschnitt „Transformationen“ widmet sich schließlich der historischen Entwicklung von Sklavereigesellschaften und insbesondere jenen Brüchen und Machtkonstellationen, welche diese verändert haben. Behandelt werden dabei etwa Rassismen der Neuzeit, die Aufklärung, die Ausbreitung des Islam, das Völkerrecht seit dem 16. Jahrhundert, „Post-Sklaverei“ oder Reparationsforderungen. Auf über 1000 Seiten argumentiert „Welten der Sklaverei“ für ein pluralistisches Verständnis von Erscheinungsformen, Akteur_innen und Quellen, das die produktive Auseinandersetzung mit historischen Konstellationen als „Gedächtnis der Zukunft“ arrangiert.