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Un/gehorsame Demokratie und umkämpfte Patronagestaatlichkeit in Südosteuropa


Eine Konjunkturanalyse der munizipalistischen Plattformen in Zagreb und Belgrad

  • Buch
  • Tiedemann, Norma
  • Campus, 2024. - 441 Seiten

Ausgehend von spanischen Städten hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein Art Netzwerk „rebellischer Städte“ (vgl. David Harvey) entwickelt, in denen aus lokalen Protestbewegungen gegen autoritär-neoliberale Krisenbewältigung und Austeritätspolitik vielerorts Wahlbündnisse hervorgegangen sind, welche in ihren Kommunen in die politischen Vertretungsgremien einzogen, Bürgermeister_innen stellten oder Regierungsbeteiligungen eingingen. Diese Entwicklungen werden auch unter dem Schlagwort eines „neuen Munizipalismus“ als eine „hybride Strategie zwischen Institution und Straße“ diskutiert und sozialwissenschaftlich beforscht: „Die munizipalistische Idee schien ein Dilemma zu lösen. Weder starr-hierarchische Partei, noch flüchtige soziale Bewegung, weder verpflichtet auf staatstragende Konventionen im nationalen Parlament, noch eingeschworen auf den Horizontalismus der Bewegung der Plätze, bildete sich darin ein erfolgsversprechendes Modell gegenhegemonialer Praxis.“ Der südosteuropäische Raum werde dabei jedoch noch eher peripher behandelt, hält Norma Tiedemann in ihrer Dissertation fest, was auch mit der Staatlichkeit im postjugoslawischen Raum zusammenhänge, denn die häufig mit munizipalistischen Bewegungen assoziierten Vorstellungen bürgerlich-liberaler Demokratie – die sich nun in einer Krise befänden – hätten sich hier nie durchgesetzt. Dennoch gebe es zwei prominente Beispiele munizipalistischer Plattformen, nämlich die Bewegungen „Zagreb je Nas“ und „Ne Da(vi)mo Beograd“, die nach unterschiedlich langer aktivistischer Tätigkeit auch Wahlbündnisse bzw. Parteien gründeten und Wahlerfolge erzielten. Aus einer materialistischen Perspektive unternimmt Tiedemann in ihrer Dissertation eine demokratie- bzw. staatstheoretische Konjunkturanalyse dieser Plattformen vor und interessiert sich dabei besonders für die Produktionsbedingungen sowie Kontexte jener Dynamiken. So erklärt sie die beiden Beispiele u.a. mit dem gesprochenen Versprechen einer Transition zur kapitalistischen Demokratie und verhandelt diese zentral vor dem Hintergrund postjugoslawischer Patronagestaatlichkeit, mit der sie autoritäre und anti-pluralistische Politiken, schwachen Parlamentarismus, Klientelismus und systemische Korruption als kennzeichnende Elemente adressiert. „Un/gehorsame Demokratie und umkämpfte Patronagestaatlichkeit in Südosteuropa“ benennt Herausforderungen der postjugoslawischen Gesellschaften und demokratische Defizite, zeigt aber auch emanzipatorische Potenziale von munizipalistischen Bewegungen, die auf lokaler Ebene, aber in einem transnationalen Netzwerk, an progressiven Transformationen arbeiten.