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Südliche Demokratien und der Streit über die internationale Ordnung


Analyse der Positionen Indiens und Südafrikas zur Responsibility to Protect

Cover des Buches
  • Buch
  • Krause, Dan
  • Budrich, 2024. - 469 Seiten.

Die Schutzverantwortung (im englischen „responsibility to protect“ bzw. auch abgekürzt als R2P bekannt) entstand als politisches Konzept in Antwort auf Spannungsverhältnisse, die insbesondere nach den wenig erfolgreich geltenden humanitären Interventionen der 1990er-Jahre in Srebrenica und Ruanda deutlich wurden. Diese Widersprüchlichkeiten und Konflikte betreffen völkerrechtliche Grundsätze und politische Standards wie das Souveränitätsprinzip und die territoriale Integrität von Staaten, das Interventions- und Gewaltverbot, das Genozidverbot oder die Wahrung und Verteidigung der Menschenrechte. Daher wurde Anfang des Jahrtausends mit der Schutzverantwortung ein neues Konzept mit dem Ziel entwickelt, Menschenrechtsschutz und staatliche Souveränität in Einklang zu bringen. Dieses setzt auf drei Säulen, welche zunächst die staatliche Verantwortung zum Schutz seiner Bevölkerung und die Unterstützung dieser Staaten durch die internationale Gemeinschaft betreffen. Die dritte Säule adressiert die Möglichkeit zur Intervention: Nimmt ein Staat seine Schutzverantwortung nicht wahr oder begeht selbst Menschenrechtsverletzungen, geht die Schutzverantwortung auf die internationale Staatengemeinschaft über, die – nach erfolgloser Anwendung friedlicher diplomatischer und humanitärer Maßnahmen – in letzter Konsequenz auch Zwangsmaßnahmen wie Sanktionen oder durch UN-Mandat gedeckte Interventionen vollziehen kann. Im Abschlussdokument des UN-Weltgipfels 2005 fand dieses Konzept seine Anerkennung, ist damit jedoch weder unumstritten, noch gibt es ein konsensuales Verständnis von zentralen Begrifflichkeiten, Implementierungsstrategien oder Mechanismen. Insbesondere aus dem Globalen Süden gibt es ausgeprägte Skepsis und Kritik an Elementen der Schutzverantwortung, die mit der militärischen Intervention in Libyen 2011 deutlich an Schärfe gewonnen hat.

Dan Krause, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der deutschen Bundeswehr in Hamburg, beschäftigt sich in seiner Dissertationsschrift mit den Positionen Indiens und Südafrikas als Beispiel zweier südlicher Demokratien. Beide zeichnen sich durch ambivalente Haltungen gegenüber der Schutzverantwortung aus, wobei Südafrika zunächst noch als großer Befürworter des Konzepts galt. In seiner theoriegeleiteten konstruktivistischen Außenpolitikanalyse beschäftigt sich Krause daher mit Positionen der beiden Staaten im zeitlichen Verlauf, fragt insbesondere unter Berücksichtigung kultureller Faktoren nach deren Hintergründen und Intentionen, und interessiert sich für deren Vorstellungen bzgl. einer Schutzverantwortung. Dabei kontextualisiert er seinen Forschungsgegenstand vor dem Hintergrund einer multipolaren Weltordnung, in der eine westliche Hegemonie erodiert ist und Staaten des Globalen Südens auf internationaler Ebene unterschiedliche Allianzen etwa auch mit Russland und China eingehen. Krause adressiert insofern auch die Fragestellung, weshalb demokratische Staaten des Globalen Südens – denen prinzipiell eine wichtige Mittlerrolle zukommen könnte – trotz systemischer Nähe zu westlichen Demokratien häufig differente Positionen besetzen. Insgesamt sind die Diskurse zum Konzept der Schutzverantwortung letztlich stellvertretend für veränderte Kräfteverhältnisse in der Weltordnung zu sehen: „Die R2P-Debatte ist für Südafrika und Indien, wie für viele aufstrebende Staaten des Globalen Südens, Teil einer größeren und grundlegenderen Debatte über die internationale Ordnung, deren veränderte Kräfteverhältnisse sowie gerechtere Gestaltung und Reform im Sinne einer inklusiveren Mitwirkung, Mitsprache und Teilhabe. (…) Es kann als sicher gelten, dass die unterrepräsentierten Staaten des Globalen Südens, insbesondere ihre Führungsmächte, neuen globalen Regeln, Normen und Konzepten selbst bei grundsätzlicher Akzeptanz auch weiterhin skeptisch gegenüberstehen werden, wenn sie an deren Entstehung, Aushandlung und prozeduraler Umsetzung – Letztere überwiegend im Globalen Süden – nicht entscheidend beteiligt werden.