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Spielfeld der Herrenmenschen


Kolonialismus und Rassismus im Fußball

Cover des Buches
  • Buch
  • Blaschke, Ronny
  • Die Werkstatt, 2024. - 254 Seiten

Regelmäßig zu Großereignissen wird die „völkerverständigende Kraft“ des Fußballs heraufbeschworen, Spieler_innen mit Migrationshintergrund werden als Vorbilder der Integration gelabelt und Partien ehemaliger Kolonien gegen europäische Imperien zu freundschaftlichen Bruderduellen verniedlicht. Rassismus oder koloniale Praktiken erfahren hingegen zumeist vorrangig in auffälligen, extremen Ausprägungen Aufmerksamkeit – etwa „Affenlaute“ gegen Schwarze Spieler_innen oder rechtsextremer Hooliganismus. Ausgehend von jüngeren Entwicklungen, die etwa durch die #BlackLivesMatter-Bewegung oder Dekolonisierungsinitiativen angestoßen wurden, befasst sich Ronny Blaschkes „Spielfeld der Herrenmenschen“ mit kolonialen Wurzeln und rassistischen Strukturen der größten Alltagskultur der Welt. Seine Reportagen führen ihn dabei in neun Länder auf fünf Kontinenten und zeigen auf, wie Fußball der Stabilisierung kolonialer Regime diente, die Hierarchisierung oder auch gewaltsame „Zivilisierung“ bestimmter gesellschaftlicher Gruppen vollzog, biologistischen Rassismen das Wort redet oder Spieler_innen auf bestimmte Positionen auf dem Spielfeld und der Gesellschaft reduziert. So dekonstruiert der Politikwissenschaftler und Sportjournalist Blaschke etwa das portugiesische Selbstverständnis einer „freundlichen Kolonialmacht“  und erzählt, wie Tourneen der Lissaboner Großklubs in die afrikanischen Kolonien oder die Instrumentalisierung von nach Portugal geholten Schwarzen Spielern als Helden der Assimilierung diesen Mythos aufrecht erhalten sollten. Andere Kapitel befassen sich etwa mit der Aufarbeitung der französischen Kolonialvergangenheit Algeriens in beiden Ländern, der Rolle des Fußballsports in Apartheidregimen im südlichen Afrika oder rassistischen medialen Diskursen in Europa. Ein anderes Kapitel zeigt auf, wie sich lateinamerikanische Vereine Versatzstücke indigener Geschichte aneignen – „eine Folklore, die Jahrhunderte von Gewalt, Ausbeutung und Landraub bagatellisiert.“ Blaschkes Band beschränkt sich freilich nicht auf die Analyse und Rekonstruktion dieser Ungleichheiten, sondern stellt auch progressive Initiativen vor, besucht Fanprojekte und spricht mit Vertreter_innen von Fankulturen, die sich gegen Verschränkungen des Fußballs mit Rassismen, Kolonialismus und patriarchalen Logiken einsetzen. „Spielfeld der Herrenmenschen“ plädiert letztlich für nichts weniger als die überfällige Dekolonisierung des Fußballs und schreibt dabei exemplarisch an einer Globalgeschichte der Ungleichheit mit.