Koloniale Kontinuitäten im Internationalen Recht
- Buch
- Anne Petersen et al. (Hrsg.)
- C.F. Müller, 2024. - 337 Seiten
Der „postcolonial turn“ habe nun endlich auch die Rechtswissenschaften der deutschsprachigen Länder erreicht, leiten die Herausgeber_innen des vorliegenden Sammelbandes ein. Dieser umfasst Beiträge, die ihre Provenienz in der Zweijahrestagung 2023 der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht haben, deren Thema „Koloniale Kontinuitäten im Internationalen Recht“ lautete. Ausgangspunkt entsprechender Diskurse ist dabei die These, dass das Völkerrecht in gegenwärtiger Ausprägung globale Ungleichheiten nicht nur manifestiert, sondern im Speziellen etwa stark von kolonial-imperialen Wurzeln zehrt, eurozentrische Perspektiven universalisiert und hierarchische Machtverhältnisse zu Ungunsten des Globalen Südens fortschreibt sowie institutionalisiert. Eine 2021 – gegen zahlreiche Enthaltungen (u.a. Österreichs und Deutschlands) – verabschiedete Resolution des UN-Menschenrechtsrats streicht nachdrücklich hervor, “that the legacies of colonialism, in all their manifestations, such as economic exploitation, inequality within and among States, systemic racism, violations of indigenous peoples’ rights, contemporary form of slavery and damage to cultural heritage, have a negative impact on the effective enjoyment of all human rights.” Es sei somit auch Aufgabe rechtswissenschaftlicher Disziplinen, sich mit diesen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, so die Herausgeber_innen. Der Sammelband konzentriert sich dabei v.a. auf zwei Bereiche, namentlich das Völkerrecht und das internationale Privatrecht. So werden etwa strukturelle Fragen der kolonialen Anlage des Völkerrechts verhandelt als auch postkoloniale Perspektiven diskutiert. Die aufgestellten Thesen adressieren etwa die Reproduktion kolonialer Logiken quer durch alle Bereiche des Völkerrechts oder die ambivalente Position internationaler Institutionen als zugleich Manifestationen ungleicher Machtverhältnisse als auch als Foren gegenhegemonialer Positionen und emanzipatorischer Potenziale. Andere Beiträge widmen sich konkreten Rechtsgebieten, etwa dem Islamischen Recht im Verhältnis zu kolonialer Vergangenheit, Verteilungsungleichheiten im Weltgesundheitssystem aus völkerrechtlicher als auch privatrechtlicher Perspektive, sowie der Rolle indigener Völker in der postkolonialen Völkerrechtsordnung oder im Zusammenhang mit Restitutionsfragen. Vorangestellt ist diesen Beiträgen eine Rede von Anne Peters „Wider den epistemischen Rassismus“, indem sie postkoloniale Herausforderungen der rechtswissenschaftlichen Disziplin reflektiert – etwa Exklusion und Marginalisierung im Wissenschaftsbetriebs, Ungleichheiten in der globalen Wissensgesellschaft, Critical Whiteness oder mangelnde Diversität. Insgesamt löst „Koloniale Kontinuitäten im Internationalen Recht“ den Anspruch einer kritischen Auseinandersetzung mit postkolonialen Fragen ein, indem differenzierte Positionen eingenommen werden und Diskussionen nicht nur sichtbar gemacht werden, sondern auch in wesentliche Thesen überführt und zusammengefasst werden. Deutlich wird dabei, dass dieses Unterfangen erst an seinem Beginn steht, schmerzhafte Erkenntnisse über die eigene Disziplin erwarten muss und im Angesicht einer dynamischen, zunehmend multipolaren Weltordnung mit umfassenden Verwerfungen ständig neu zu fassen ist.