Indigoblau
- Buch
- Monénembo, Tierno
- Peter Hammer, 2024. - 270 Seiten
„Nachdem Sie mir aus der Hand gelesen hatten, berührten Sie meine Stirn und seufzten: »Zwölf Leben in einem! Ich würde ein Buch schreiben an Ihrer Stelle.«“ Tatsächlich fügt sich die Biografie der Protagonistin in Tierno Monénembos Roman „Indigoblau“ keinem linearen Narrativ, sondern hält eine Fülle an Wendungen, Schicksalsschlägen und selbstbestimmten Ausbrüchen bereit. In einer Mischung aus metafiktionalem Bericht und Oralität erzählt Véronique Bangoura ihre Geschichte: Mit 15 erschießt sie ihren Vater, einen Militärpolizisten, nach einer versuchten Vergewaltigung mit dessen Dienstwaffe und flüchtet aus dem wohlsituierten Elternhaus in das „zwielichtige Universum“ der guineischen Hauptstadt Conakry. Mit Unterstützung eines gleichaltrigen Mädchens versteckt sie sich etwa ein Jahr lang erfolgreich vor den Behörden, nach und nach gewinnt jedoch die Neugier und der Wunsch nach Souveränität. Die beiden jungen Frauen tauchen lebenslustig in das abenteuerliche Nachtleben ein, machen Bekanntschaft mit der Unterwelt von Conakry und nutzen ihre gesellschaftlichen Spielräume clever aus – wäre da nur nicht dieser seltsame Mann in indigoblauer Jacke, der in unregelmäßigen Abständen auftaucht und von Véroniques Vergangenheit Kenntnis zu haben scheint. Spätestens als dieser das Geheimnis von Véroniques tatsächlichen Eltern lüftet, wird „Indigoblau“ zur Suche nach der eigenen, aber auch der nationalen Identität. Dieses Unterfangen teilt die Protagonistin mit ihrer späteren Nachbarin in Paris, der sie sich nach und nach öffnet und dabei wiederholt Gemeinsamkeiten entdeckt: „Zwei Biografien sind nie ganz gleich, genauso wenig wie Fingerabdrücke.“ Beide sind sie – wie auch Tierno Monénembo – Opfer der Diktatur unter Ahmed Sékou Touré, haben Angehörige oder gar ganze Teile ihrer Biografie verloren, sind aus Westafrika geflüchtet. In unterschiedlichen Erzählsträngen lässt „Indigoblau“ Zeitzeug_innen ebenso wie Nachfahren von dieser Schreckensherrschaft berichten, etwa von Massenhinrichtungen, Kindeswegnahmen und dem berüchtigten Folterlager Camp B. Daneben erzählt der Roman von gesellschaftlichen Zwängen, patriarchalen Strukturen und materieller Not, aber auch von Emanzipation und einer widerständigen Lebensfreude: „Leben wir, lassen wir es uns gut gehen, das ist unsere Rache.“ Mit literarischem Furor vollzieht die Erzählerin diesen Racheakt und schreibt sich mit ihrer Geschichte stellvertretend für unzählige Kinder des Regimes ins kollektive Gedächtnis ein.