Flucht- und Flüchtlingsforschung
Handbuch für Wissenschaft und Studium
- Buch
- Tabea Scharrer (Hrsg.)
- Nomos,2023. - 882 Seiten.
Erfahrungen von Flucht, Migration, Vertreibung und Zuflucht prägen Gesellschaften und manifestieren sich in unterschiedlichen Politiken. Während sich im anglophonen Raum bereits seit einigen Jahrzehnten ein konturiertes Forschungsfeld der „Refugee and Forced Migration Studies“ etabliert habe, hätte dieses in deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften bis vor kurzem eher periphere Beachtung gefunden. Nicht zuletzt mit den großen Migrationsbewegungen 2015 sei jedoch ein wahrer Boom deutschsprachiger Flucht- und Flüchtlingsforschung zu erkennen, so die Herausgeber_innen des vorliegenden Handbuchs, welcher sich in einer Vielzahl an Forschungsprojekten, neuen Impulsen und der breiten Rezeption der Erkenntnisse äußere. Das „Handbuch Flucht- und Flüchtlingsforschung“ nutzt diese Popularisierung für das ambitionierte Projekt, strukturiert in das Forschungsfeld einzuführen und dabei der Breite des Gegenstands gerecht zu werden. Das Handbuch gliedert sich in vier Abschnitte, die der Reihe nach Forschungsansätzen, Begriffen und Themen, dem Gegenstand sowie zuletzt Regionen gewidmet sind. So werden im ersten Abschnitt unterschiedliche Disziplinen in ihrem Interesse für den Forschungsgegenstand charakterisiert, aber auch interdisziplinäre Zugänge wie die erwähnten Refugee and Forced Migration Studies oder die Friedens- und Konfliktforschung vorgestellt. Ebenfalls in diesem Abschnitt werden methodologische Instrumentarien skizziert und forschungsethische bzw. selbstreflexive Überlegungen (etwa zu Eurozentrismus) angestellt. Die 25 Beiträge des zweiten Abschnitts befassen sich jeweils mit einer zentralen Begrifflichkeit, indem sie deren Entstehung und Verwendung in unterschiedlichen Kontexten beleuchten, vor allem aber Debatten rund um deren Bedeutung nachzeichnen. Eingegangen wird etwa auf die Begriffe „Agency“, „Diaspora“, „Lager“, „Migration“, „Resilienz“ oder „Grenzen“. Mit dem besonders zentralen Terminus „Flüchtling“ setzen sich dabei sogar mehrere Beiträge auseinander, die diesen aus sprachlicher, historischer und rechtlicher Perspektive analysieren, oder aber – wie in „Bootsflüchtling“ oder „Klimaflüchtling“ – in Bezug auf besondere Spezifika erörtern. Deutlich wird dabei die ständige gesellschaftliche Ausverhandlung der Begrifflichkeiten, die in unterschiedlichen Diskursen höchst verschiedenes bedeuten können. Der dritte und umfangreichste Abschnitt trachtet danach, den zuvor theoretisch-konzeptionell gefassten Gegenstand aus empirisch-praktischen Blickwinkeln zu konturieren. Dies beinhaltet zunächst Beiträge zu Akteur_innen und Institutionen (etwa dem internationalen Flüchtlingsregime, Kommunen oder der Zivilgesellschaft) und wirkmächtigen Kategorisierungen bzw. Gruppenbegriffen wie unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, Frauen* oder Männlichkeiten*. Weiters finden sich im dritten Abschnitt Beiträge zu politischen Strategien und Mustern der Regulierung von Flucht, Migration bzw. Mobilität von Geflüchteten, bevor es anschließend um Strukturen und Praktiken der Aufnahme bzw. Integration geht – etwa um den Arbeitsmarkt, Diskriminierungserfahrungen von Geflüchteten oder die Rolle von Sprache. Der vierte und letzte Abschnitt ist geografisch konzipiert und ermöglicht den Vergleich unterschiedlicher Regionen. Hierbei stehen weniger tagesaktuelle Entwicklungen im Vordergrund, sondern historische Zusammenhänge, komplexe Mobilitätsregime und regionale Netzwerke. Alle Beiträge des Bandes zeichnen sich dabei durch gute Strukturierung, Querverweise und weiterführende Literaturhinweise aus, im Anhang finden sich außerdem ein Sach- und Personenregister. Die zugängliche und differenzierte Aufbereitung einer komplexen Thematik macht das vorliegende Handbuch zu einem potenziellen neuen Referenzwerk für Studierende, Lehrende und Interessierte aus der Praxis gleichermaßen.