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Fernes Unrecht. Fremdes Leid


Von der Durchsetzbarkeit internationalen Rechts

  • Buch
  • Hankel, Gerd
  • Hamburger Edition, 2024. - 300 Seiten

Gerd Hankel legt mit diesem Band eine umfassende Darstellung und Diskussion der internationalen Strafgerichtsbarkeit vor, in der er – eingedenk aller Rückschläge und Widersprüche – doch einen Umbruch erkennen kann. Plastisch greift er in seiner Einleitung auf eine Szene aus Goethes Faust zurück, in welcher flanierende Bürger mit behaglichem Schauer auf einen weitentfernten Krieg in der Türkei zu sprechen kommen und das fremde Leid als Stimulans des eigenen friedlichen Lebens verstehen: „Sie mögen sich die Köpfe spalten, (…) Doch nur zu Hause bleib’s beim alten.“ Wenngleich diese individuelle Haltung der Gleichgültigkeit und Distanzierung wohl heutzutage genauso anzutreffen sei, und es seit der Neuzeit Versuche gebe, internationale Unrecht zu ahnden, so sei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und der Etablierung von Institutionen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit eine wesentliche Neuerung gelungen: „Das ist eben der Unterschied: Wenn Verbrechen, systematisch und in großer Intensität begangen, nicht unter dem Schutzschild staatlicher Souveränität zum Verschwinden gebracht werden und sich auch nicht im internationalen Beziehungsgeflecht auflösen, sondern vor den Augen nationaler und internationaler Öffentlichkeiten verhandelt werden können, dann ist das eine gänzlich andere Sachlage.“ Der Völkerrechtler und Sprachwissenschaftler Hankel zeichnet auf knapp 350 Seiten durchgängig ein differenziertes Bild, das berechtige Einwände, rechtliche Dilemmata, politisch ambivalentes Handeln und Widersacher_innen dieses Projekts nicht ausspart. In einem ersten Kapitel setzt sich Hankel mit der Dimension des Gegenstands auseinander: Was ist von „internationalem Belang“? Was macht Unrecht zu einem solchen? Und was meint jene „Menschlichkeit“, die von Verbrechen infrage gestellt wird? In einem zweiten Kapitel stellt Hankel die Bandbreite der Reaktionsmöglichkeiten auf solches Unrecht zwischen Indifferenz, Intervention und strafrechtlicher Sanktionierung vor, wobei er besonders die Zusammenhänge von Wahrnehmung und Wertung mit ebenjenen akzentuiert. Deutlich wird anhand einer Reihe von Fallbeispielen (etwa Jugoslawien, Ruanda, D.R. Kongo, Syrien) die Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit der gelebten Praxis, in der die Durchsetzbarkeit internationalen Rechts wesentlich vom ernsthaften Willen und den Interessen einzelner Staaten abhängt. In den weiteren Kapiteln werden die Dimension sprachlich-semantischer Aspekte veranschaulicht, Bedingungen für gelingende Ahndung internationalen Unrechts formuliert (etwa historische Kontextualisierung, angemessen Verfahrensdauern oder widerspruchsfreies Handeln der Institutionen) sowie Perspektiven für eine Weiterentwicklung oder auch Manifestation internationaler Gerechtigkeit diskutiert. „Fernes Unrecht, fremdes Leid“ erzählt anschaulich von einem „zivilisatorischen Versuch“ der jüngeren Vergangenheit, dessen Zwischenerfolge zwar auf tönernen Füßen stünden, dennoch nicht geringgeschätzt werden dürften: „Der effektive Schutz von elementaren Menschenrechten ist eine völkerrechtliche Realität und bereits in Teilen der Welt eine internationale und nationale Praxis.