Der Preis der Welt
Eine Globalgeschichte des Kapitalismus
- Buch
- Lenger, Friedrich
- C.H. Beck, 2023. - 669 Seiten
Wie keine zuvor lebt unsere Generation in einer Welt, leitet Friedrich Lenger seine globalgeschichtliche Darstellung des Kapitalismus ein. Vor allem würden wir auch von der einen Welt leben, adressiert Lenger gesellschaftliche Produktions- und Lebensweisen, die das Zeitalter des Anthropozäns konstituieren und von der kapitalistischen Aneignung der Natur befeuert werden: „Die Verschränkung zwischen der fortgeschrittenen ökonomischen Verflechtung der Welt und einer zur planetaren Bedrohung werdenden Naturvernutzung geht also mit globalen Asymmetrien einher, die von Kapitalinteressen hervorgetrieben werden.“ Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der kapitalistischen Dynamik und den vor ihr in den letzten fünf Jahrhunderten hervorgebrachten Ungleichheitsverhältnissen, Krisen und ausbeuterischen Regimen. Dieses Unterfangen ist ebenso ambitioniert wie von zahlreichen Hürden begleitet. Schon die Datierung des Zeitraums ist umstritten, denn nicht alle Expert_innen teilen Karl Marxens Feststellung, wonach Welthandel und Weltmarkt im 16. Jahrhundert die „moderne Lebensgeschichte des Kapitals“ eröffnet hätten. Den Beginn seines Untersuchungsgegenstands um 1500 will der Verfasser insofern nicht als trennscharfe Zäsur missverstanden wissen und verweist ebenso auf Argumente für eine frühere oder spätere Datierung, als auch auf die eurozentrische Prägung vieler entsprechender Diskurse. In einer Diskussion zentraler Klassiker kontrastiert Lenger in der Folge unterschiedliche Kapitalismusbegriffe und arbeitet wesentliche Merkmale für eine Arbeitsdefinition heraus. „Der Preis der Welt“ ist in seinem Hauptteil in sechs Kapitel gegliedert, die sich jeweils mit konkreten Perioden bzw. Stadien des modernen Kapitalismus beschäftigen. Diese sind chronologisch geordnet, berücksichtigen dabei jedoch Überlappungen und die insbesondere in der frühen Neuzeit wenig synchron verlaufenden Entwicklungen. Dadurch bedient Lenger kein teleologisches Narrativ, sondern akzentuiert Widersprüchlichkeiten, Gegenläufigkeit und ambivalente Dynamiken. Die sechs Kapitel befassen sich mit der europäischen Expansion, mit Sklaverei und Kolonialismus, mit dem Übergang vom Handelskapitalismus zum Industriekapitalismus, den Industriellen Revolutionen, Entwicklungsmodellen, Neokolonialismus oder der neoliberalen Ordnung seit den 1970er-Jahren. Zentrale Konstanten dieser Entwicklung erkennt Lenger in der grenzüberschreitenden Orientierung der kapitalistischen Dynamik, der Externalisierung ökologischer Kosten, dem durchgängigen Interesse an Monopolprofiten und schließlich auch in „Zwang und Gewalt [als] wiederkehrende Merkmale kapitalistischer Profitgenerierung.“ In einem abschließenden Resümee geht Lenger auch auf Möglichkeiten der Regulierung und auf politische Ansätze zur Bearbeitung ein, lässt jedoch insbesondere für die Bewältigung der Klimakrise kurzfristig wenig Optimismus erkennen. Insgesamt ist „Der Preis der Welt“ eine dichte und präzise Globalgeschichte des Kapitalismus, in der auch entwicklungspolitische Fragestellungen durchgängig von Bedeutung sind und – anders als in vielen Studien mit ähnlichem Gegenstand – Akteur_innen sowie Perspektiven des Globalen Südens konsequent einbezogen werden.