Der Plakatwächter
- Buch
- Ferrada, María José
- Berenberg, 2024. - 128 Seiten
In einer namenlosen lateinamerikanischen Stadt steigt Ramón eines Tages auf das Gerüst eines riesigen Coca Cola-Werbeplakats und beschließt, dort zu bleiben. Seiner Arbeit in einer Plastikfabrik ist er überdrüssig geworden, der neue Job besteht lediglich darin, die Beleuchtungskörper des Plakats zu bewachen, und ist entsprechend prekär belohnt. Warum dann nicht gleich dort wohnen? „Ein halber Vertrag und eine warme Mahlzeit pro Tag – im Krieg muss man auf ganz andere Dinge verzichten, sagte sich Ramón, während er die verschmorten Überreste der selbstmörderischen Mücken wegfegte, die sich – allen Theorien über den Selbsterhaltungstrieb im Tierreich zum Trotz – Nacht für Nacht wie winzige Kamikazeflieger auf die Schweinwerfer stürzten.“
María José Ferrada ist erfolgreiche chilenische Kinderbuchautorin, „Der Plakatwächter“ ist nach „Kramp“ ihr zweiter Roman und erzählt aus der ebenso kindlichen wie scharfsinnigen Perspektive von Ramóns elfjährigem Neffen Miguel eine Miniatur der Entfremdung im kapitalistischen System. Der Umzug auf das Gerüst wird dabei als eine Mischung aus Protest und Provokation, aber auch Eskapismus aufgefasst, für den Miguel große Sympathien erkennen lässt. In aufgeräumten, dennoch poetischen Sätzen – und nicht selten aus der Vogelperspektive des Coca Cola-Nests – berichtet ein kleiner Junge von der seltsamen Erwachsenenwelt und dem brüchigen Frieden einer gesellschaftlicher Ordnung, die auf Ausgrenzung, Konformität und Konsumismus beruht. Mit Elementen eines magischen Realismus schreibt „Der Plakatwächter“ daher den Gegenentwurf als resonantes Märchen, mit kleinen Glücksmomenten, Rückzugsorten und einer beflügelnden Fantasie. Oder wie es der Titel der englischen Übersetzung formuliert: „How to turn into a bird“.