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Das Gedächtnis der Kolonisation


Afrikanische und europäische Narrative ab 1980

Cover des Buches
  • Buch
  • Tayim, Constantin Sonkwé
  • V&R unipress, 2024. - 366 Seiten

Debatten über den Umgang mit dem Kolonialismus seien aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, verweist der Verfasser eingangs etwa auf Diskurse zu Restitution, Fragen der Beziehungen zwischen ehemaligen Koloniegebieten und ihren Kolonialmächten in der Gegenwart oder die Präsenz kolonialen Erbes im öffentlichen Raum. Diese Diskurse scheinen jedoch sehr verschieden zu arbeiten und auch innerhalb nationaler Räume unterschiedliche Erfahrungshorizonte zu benennen, hält Constantin Sonkwé Tayim in seiner Habilitationsschrift fest. Ziel seiner Studie sei es insofern, „durch eine Konfrontation verschiedener Narrative des Kolonialismus Diskurse herauszuarbeiten, Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den jeweiligen diskursiven Darstellungen von Kolonialismus zu identifizieren und zu deuten.“ Untersuchungsgegenstand des Verfassers sind dabei Texte der neueren europäischen und afrikanischen Erzählliteratur ab 1980, wobei er sich nicht auf einzelne Nationen oder Sprachräume konzentriert und nicht nur kanonische Texte wählt, sondern etwa auch Autobiographien von ehemaligen Kolonialverwaltern im Korpus berücksichtigt. Constantin Sonkwé Tayim gelingt dabei eine inklusive und postkoloniale Praxis vergleichender Literaturwissenschaft, indem er epistemische Hierarchien aufbricht, Marginalisierungsprozesse sichtbar macht und aus der Vielzahl an Perspektiven einen pluralistischen Erinnerungshaushalt erzeugt. So befasst sich die vorliegende gedächtnis- und diskurstheoretische Studie etwa mit der Frage, wie europäische Kolonisation rückblickend konstruiert wird, welche Weltsichten und Identitätskonstruktionen diese Narrative transportieren, wie Figurationen von Gewalt in zeitgenössischen Texten erfolgen oder welche Diskurse um Sexualität, Körperlichkeit und Subalternität im Zusammenhang mit Kolonialfantasien stehen. Insgesamt resümiert der Verfasser, dass es kein transnationales Gedächtnis der Kolonisation gebe und die gewählten Texte Kolonisation nicht bloß abbilden, sondern systematisch bilden und konfigurieren würden. Des Weiteren erkennt er Formen des literarischen Umgangs mit Kolonialvergangenheit, die jeweils typisch europäisch bzw. afrikanisch seien – Ausnahmen gebe es freilich. Nicht zuletzt legt Constantin Sonkwé Tayims Studie auch wesentliche Asymmetrien der globalen Wissensgesellschaft offen, in der etwa europäische Texte afrikanische Stimmen und Subjektpositionen nicht berücksichtigen und ausschließlich einen europäischen Erfahrungshaushalt mobilisieren. Angesichts dieser fortwährenden Selbstverständigung sei „die Unfähigkeit eines postkolonialen europäischen Blicks (…) nicht verwunderlich.“