Bürgerkriege
warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen
- Buch
- Walter, Barbara
- Hoffmann und Campe, 2023. - 313 Seiten
Mit Bürgerkriegen assoziieren wir häufig zunächst Länder wie Syrien, Afghanistan oder Äthiopien, von denen sich die „traditionellen Demokratien“ des Globalen Nordens doch deutlich unterscheiden. Oder? Beunruhigt stellt die Politikwissenschaftlerin Barbara F. Walter in der Einleitung zu „Bürgerkriege“ fest, dass mit Entführungsversuchen bewaffneter Milizen oder dem Sturm des Kapitols 2021 die „Warnzeichen der Instabilität, die wir an anderen Orten identifiziert haben“ auch in den USA zu beobachten seien. Um die am längsten bestehende Demokratie der Welt geht es jedoch erst gegen Ende wieder, vielmehr beschäftigt sich Walter allgemein mit dem Phänomen „Bürgerkrieg“. Ihre Erfahrungen mit diesen Konflikten – etwa in der „Political Instability Task Force“ (PITF) – zeigen nämlich vor allem eines: Bürgerkriege entstehen nicht unvorhersehbar, sie folgen bestimmten Mustern und profitieren von konkreten Bedingungen. Hätte die einschlägige Forschung jahrzehntelang jeden Bürgerkrieg als singuläres Ereignis zu verstehen versucht, so gebe es mittlerweile präzise Modelle auf Grundlage statistischer Daten und Reports, welche die Anfälligkeit für einen Bürgerkrieg aufzeigen. Zugänglich und verständlich erklärt Walter begünstigende Faktoren und Treiber dieser Dynamiken, etwa Anokratien (nicht voll ausgeprägte, sondern illiberale, partielle oder Scheindemokratien) bzw. speziell ehemalige Autokratien in der Transitionsphase der Demokratisierung. Neben dem Vorliegen anokratischer Herrschaftssysteme sieht Walter vor allem einen engen Zusammenhang zwischen ausgeprägtem Faktionalismus und der Eintrittswahrscheinlichkeit von Bürgerkriegen: „In Ländern, die als »faktionalisiert« gelten, agieren politische Parteien, deren Programmatik auf ethnischer oder religiöser Identität gründet, die sie meist kompromisslos und unflexibel propagieren. Die starren Gegensätze zwischen diesen oft etwa gleich starken Parteien führen zu scharfer Konkurrenz und sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.“ Somit sei – anders als lange vermutet – weniger die multi-ethnische Diversität in einem Land ausschlaggebend für Konflikte, sondern der Zusammenhang von ethnischer Identität und Machtfülle. Wichtig für das Verständnis von Bürgerkriegen seien weiters Statusverlustängste privilegierter Gruppen, soziale Medien als unübersichtliche Brandbeschleuniger oder gesellschaftlich verbreitete Hoffnungslosigkeit. Doch wie würde ein Bürgerkrieg heutzutage aussehen? Tradierte Vorstellungen des US-amerikanischen Bürgerkriegs entsprächen der Realität von Bürgerkriegen jedenfalls nicht mehr, unkonventionelle und hybride Kriegsführung sind neue Strategien: „Wer im 21. Jahrhundert gegen seine Regierung in den Krieg zieht, vermeidet das Schlachtfeld, weil er weiß, dass er in einem konventionellen Krieg gegen eine mächtige Staatsgewalt nur den Kürzeren ziehen kann. Er setzt auf die Strategien der militärisch Unterlegenen: Guerillakampf und Terrorismus.“ Abschließend macht Walter deutlich, worauf es ankommt, möchte man Bürgerkriege verhindern: „Um das Versprechen einer wahrhaft multiethnischen Demokratie zu erfüllen, muss die Nation große Gefahren umschiffen. Wir müssen unsere Demokratie stärken, der Zone der Anokratie fernbleiben und die sozialen Medien zügeln, was dazu beitragen wird, die Faktionalisierung zu verringern.“