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Alle satt?


Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen

Cover des Buches
  • Buch
  • Niggli, Urs
  • Residenz, 2021. - 158 Seiten.

Klimawandel, steigender Bodenverbrauch, globale Ungleichheiten und Hungerkrisen stellen die Ernährungssicherung bereits jetzt vor große Herausforderungen. Angesichts einer auch in den nächsten Jahrzehnten rasch wachsenden Weltbevölkerung formuliert der Autor bereits im Untertitel die zentrale Programmatik des Bandes: „Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen“. Urs Niggli, Agrarwissenschaftler und Pionier der Biolandwirtschaftsforschung, ist weniger am Zusammentragen hinlänglicher bekannter Fakten interessiert, sondern an den zahlreichen Widersprüchen der Thematik: Warum leiden gerade Kleinbäuer_innen, die häufig als Erfolgsbeispiele von Ernährungssouveränität gelten, am meisten unter Nahrungsmittelkrisen? Weshalb verzeichnen Bioprodukte im Globalen Norden große Umsatzzuwächse, während sie doch weltweit gesehen Nischenprodukte bleiben? Und wieso weitet sich der Anteil an biologisch bearbeiteten Flächen trotz einer quer durch das politische Spektrum forcierten Förderpolitik in Europa nicht merklich aus? Dabei ist „Alle satt?“ alles andere als ein flammendes Plädoyer für eine universale Anwendung biologischer Landwirtschaft: Niggli verwehrt sich dichotomen Gegensätzen von „künstlicher“ und „natürlicher“ Landwirtschaft ebenso wie (autobiografisch unterfüttert) der verklärenden Romantisierung kleinbäuerlicher Selbstversorgung. In kurzen Essays komprimiert er wesentliche Zusammenhänge, illustriert mit Anekdoten und versucht, mögliche Widersprüche produktiv aufzulösen. So verfasst er ein Lob der modernen Landwirtschaft mit ihrer hohen Produktivität, arbeitet aber vice versa auch Missstände und Fehlleistungen der Branche heraus. Selbiges gilt für den Biobereich, der Vieles könne (etwa Erhalt von Biodiversität und Bodenschutz), für die Versorgung der zukünftig 10 Milliarden aber aufgrund des geringen Ertrags bislang nicht geeignet sei. Andernorts beschäftigt sich der Autor mit grünen Städten als nachhaltige Gestaltung der Urbanisierung oder mit dem positiven Zusammenhang von demokratischer Selbstbestimmung und Ernährungssicherheit. „Alle satt?“ ist insgesamt nicht nur kritisch-deskriptive Bestandsaufnahme, sondern lösungsorientierte Ideensammlung. Dem widersprüchlichen „Zielkonflikt zwischen Ökologie und Produktivität“ könne man wohl nur durch Offenheit gegenüber neuen Technologien begegnen, verweist Niggli auf die Potenziale von Digitalisierung, Molekularbiologie und Digitalisierung, der die „natürliche“ Landwirtschaft bislang skeptisch gegenüberstehe. Auch durch die Covid-19-Pandemie erwartet der Agrarwissenschaftler manch langfristige Auswirkung im Bereich der Landwirtschaft, etwa die Verkürzung bzw. Regionalisierung einzelner Wertschöpfungsketten. Mit 7 Handlungsoptionen, die etwa die SDGs, einen Wandel der Agrarpolitik oder technologische Innovationskultur betreffen, schließt Niggli ein Buch, nach dessen Lektüre manch scheinbar fundamentaler Widerspruch durchaus lösbar klingt.