Direkt zum Inhalt wechseln

Schweitzers Lambarene


Ein globales Spital im kolonialen Afrika

Cover des Buches
  • Buch
  • Steinke, Hubert u.a.
  • Wallstein, 2024. - 343 Seiten

Das Albert Schweitzer-Spital in Lambarene (Gabun) steht sinnbildlich für humanitäre (medizinische) Hilfe mit christlich-ethischem Hintergrund, der Gründer Albert Schweitzer wurde für sein Wirken mit dem Friedensnobelpreis 1952 bedacht. Ebenfalls in den 1950er-Jahren jedoch begann der Mythos Schweitzers zu bröckeln, medial wurde über die Rückständigkeit des Krankenhauses berichtet, Zeitgenoss_innen äußerten sich kritisch über Paternalismus, koloniale Denkmuster und fehlende Reflexionsbereitschaft Schweitzers. Zahlreiche Arbeiten haben sich seitdem mit der (De-)Konstruktion glorifizierender Mythen („Urwalddoktor“) beschäftigt und zu einem differenzierten Bild beigetragen, die vorliegende Studie fokussiert jedoch weniger auf die Person Albert Schweitzer, als auf eine breitere Auseinandersetzung mit der Institution Albert Schweitzer-Spital und ihren inneren Mechanismen. „Schweitzers Lambarene“ ist am Institut für medizinische Geschichte an der Universität Bern entstanden und interessiert sich etwa für Motivationen von Personal und Patient_innen, den medizinischen Dienst sowie alltägliche Praktiken, Herausforderungen und Konflikte.

Konsequent legt der vorliegende Band auf Grundlage von extensiver Quellenforschung die vielseitigen Akteur_innen-Netzwerke von lokaler Bevölkerung, (kolonial-)staatlicher Administration, internationalem Personal und weltweiten Unterstützer_innen frei, welche das Albert Schweitzer-Spitals als „globales Spital im kolonialen Afrika“ begreiflich machen: „Das Spital war aber nicht nur das Spital von Schweitzer, den Angestellten und den Kranken. Es war ebenso das Spital eines Netzwerks von Unterstützerinnen und Unterstützern aus Europa und den USA sowie – in geringerem Maß – aus Israel, Südamerika und Japan. Ohne dieses Netzwerk hätte das Spital nicht überleben können – und ohne die internationale Aufmerksamkeit lässt es sich auch nicht verstehen.“ Beispielhaft veranschaulicht werden in dieser umfassenden Studie etwa die relative Beschränktheit des medizinischen Angebots bei gleichzeitig guter Effizienz, die Isolierung von staatlichen Strukturen der öffentlichen Gesundheit, Schweitzers von kolonialen Denkmustern geprägte „Zivilisierungsmission“, unterschiedliche Zugänge zwischen Idealismus und Pragmatismus oder Schweitzers Konzert- und Vortragsreisen in Europa zum Zwecke der Spendenfinanzierung. Durchgängig stellen sich die Verfasser_innen der schwierigen Frage nach der Wertung solcher Projekte mit humanitärem Hilfsanspruch vor dem Hintergrund kolonialer Realitäten und globaler Machtverhältnisse. Das Resümee fällt so differenziert wie präzise aus: „Das Spital hatte zwar keine missionarischen und politischen Ziele und kann mit den relativ großen Freiheiten und der beschränkten Kontrolle auf seinem Gelände nicht als ein wirklich koloniales Projekt bezeichnet werden. Aber mit diesem zunehmend anachronistischen Prinzip der dauernden Abhängigkeit war es doch in seiner Konzeption und Ausführung durch ein koloniales Denkmuster bestimmt, von dem sich Schweitzer und seine Mitarbeitenden nicht lösen konnten und wollten.