Die Geschichte des Anderen kennen lernen
Israel und Palästina im 20. Jahrhundert
- Buch
- Sāmī ʿAdwān et al. (Hrsg.)
- Campus, 2024. - 279 Seiten
Die Ereignisse seit dem 7. Oktober 2023 lassen dem vorliegenden Band in seiner Neuauflage hohe Relevanz zukommen. Der ursprünglich bereits im Zeitraum 2002-2007 von einem Kollektiv israelischer und palästinensischer Pädagog_innen erarbeitete und in mehrere Sprachen übersetzte Band adressiert dabei die Realität gegensätzlicher Narrative in den beiden Gesellschaften und formuliert den Anspruch, diese Perspektiven der jeweils anderen Gruppe in Bildungssettings näher zu bringen. Dabei wird die Geschichte Israels und Palästinas im 20. Jahrhundert aufgeteilt in neun chronologisch geordnete Kapitel, die sich jeweils parallel lesen lassen: Während auf der linken Seite einer Doppelseite die israelische oder zionistische Perspektive wiedergegeben wird, so steht dieser auf der rechten Seite die palästinensisch-nationalistische Erzählung gegenüber. Auch das nachgestellte Glossar ist streng in einen israelischen und einen palästinensischen Abschnitt getrennt. Diesem Ansatz „dualer Narrative“ attestieren die Herausgeber_innen das Potenzial, monolithische Identitäten und exklusive Konstruktionen des gesellschaftlichen Gedächtnisses aufzubrechen und zum Dialog einzuladen. Der gewählte Ansatz sei insbesondere deshalb produktiv, da die stetig wiederaufflammende Gewalt und die zahlreichen Narben in den beiden Gesellschaften eine gemeinsame „überbrückende Erzählung“ nicht zulassen würden: „Wir haben beschlossen, einen Prozess zu initiieren, der es beiden Völkern ermöglichen würde – insbesondere den jüngeren Generationen –, über eine eindimensionale Identifikation mit dem eigenen Narrativ hinauszugehen und Anerkennung, Verständnis und Respekt (ohne bloße Hinnahme) für die Erzählung des Anderen aufzubringen. Die Tatsache, dass diese Idee angesichts des zu dieser Zeit überwiegend feindseligen politischen Klimas naiv oder sogar utopisch klingen könnte, schreckte uns nicht ab.“ Die historischen Schilderungen in „Die Geschichte des Anderen kennen lernen“ behaupten somit keine unvoreingenommene Erzählung zu sein, sondern spiegeln auch gesellschaftliche Wunden und strukturelle Machtverhältnisse wider, ohne dabei das Gegenüber zu dämonisieren. Darüber hinaus ist der nun wiederveröffentlichte Band ein spannendes Zeitdokument des frühen 21. Jahrhunderts unter dem Eindruck der zweiten Intifada.