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Dekolonisation 1945-1975


Cover des Buches
  • Buch
  • Metzger, Thomas u.a.
  • Wochenschau, 2023. - 294 Seiten

Als Kernphase der Dekolonisation gelten die drei Jahrzehnte zwischen 1945 und 1975, in denen Ablösungsbewegungen in den Kolonialterritorien der ehemaligen Imperien seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Dynamik gewannen und in den meisten Ländern zur formellen Unabhängigkeit führten. Akteur_innen, Praktiken und Intentionen dieser Bewegungen waren dabei teils sehr unterschiedlich und widersprüchlich, der Begriff der Dekolonisation behauptet insofern keine lineare Entwicklung von kolonialen Imperien zu souveränen Nationalstaaten, sondern umfasst vielschichtige Aushandlungsprozesse auf lokaler, nationaler und globaler Ebene. Der vorliegende Sammelband wurde in der Reihe „Fundus – Quellen für den Geschichtsunterricht“ veröffentlicht und bereitet dieses Thema mit anschaulichem Quellenmaterial und kontextualisierenden Texten auf. In ihrer Zusammenstellung berücksichtigen die Herausgeber_innen insbesondere kritische Ansätze der Postcolonial Studies, verwenden sich gegen männerzentrierte Geschichtsschreibung sowie alte und starre Dichotomien von Zentrum/Peripherie, Kolonisatoren/Kolonisierten oder Macht/Machtlosigkeit. Stattdessen verweisen sie etwa auf transnationale Netzwerke, die bei der Dekolonisation wesentliche Bedeutung hatten, auf wechselseitige Rückkoppelungsprozesse in den betroffenen Gesellschaften und Transferleistungen. Der Band gliedert sich in drei Abschnitte, wobei dem ersten die Aufgabe einer grundsätzlichen Konturierung von Rahmenbedingungen und politischen Denkansätzen der Dekolonisation. Beiträge in diesem Abschnitt befassen sich etwa mit Auswirkungen der beiden Weltkriege, mit panafrikanischen Konferenzen oder dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, das von den jungen Vereinten Nationen postuliert wurde. Als zentrale Ideen des Politischen Denkens werden etwa Texte von Frantz Fanon, Kwame Nkrumah, Gayatri Chakravorty Spivak oder des African Feminist Forum diskutiert. Der zweite Abschnitt unternimmt den Versuch einer chronologischen Periodisierung der Dekolonisation in vier Phasen, wobei wegbereitende Ereignisse schon in den 1940er-Jahren Beachtung fanden, die Mehrzahl der formellen Unabhängigkeitsprozesse jedoch erst in den 1960er-Jahren kulminierte. Deutlich machen die Verfasser_innen auch, dass nach wie vor zahlreiche Folgekonflikte der Dekolonisation bestehen, von denen einige (etwa Neukaledonien) auch sehr rezente Konjunkturen aufweisen. Fünf exemplarische Fallbeispiele ermöglichen im dritten Abschnitt eine tiefergehende Auseinandersetzung mit konkreten Entstehungsbedingungen, Entwicklungen, Akteur_innen und Konflikten der Dekolonisation: Diese sind Indien/Pakistan, Vietnam (mit Laos und Kambodscha), Namibia, Algerien und Kongo. Die Auswahl dieser Beispiele argumentieren die Herausgeber_innen gleichzeitig mit ihren historischen Spezifika, als auch aufgrund ihrer Beispielhaftigkeit: „Die Beispiele stehen für die internationale Vernetzung der Befreiungsbewegungen sowie ihrer Exponentinnen und Exponenten, die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interventionen Dritter im Gefüge des Kalten Kriegs, die oftmals vergeblichen Dekolonisationsbemühungen der Vereinten Nationen, die Existenz unterschiedlicher Freiheitsvorstellungen wie auch verschiedener Vorstellungen neokolonialer Ordnung, den weit verbreiteten sowie offenen und latenten Rassismus (auch unter dem Deckmantel einer angeblichen „Zivilisierungsmission“), die enormen Opferzahlen auf Seiten der kolonisierten Bevölkerungen infolge von Befreiungs- und nachfolgenden Bürgerkriegen sowie politischen und „ethnischen Säuberungen“ und schließlich die vielfältigen Rückwirkungen der Dekolonisationsprozesse auf die „kolonialen Zentren“.“