Sonne, Mond und Kornfeld
- Buch
- Babluani, Temur
- Voland & Quist, 2023. - 545 Seiten
„Anfang 1968 wollte meine einzige Hose endgültig nicht mehr bis zu den Knöcheln reichen und ließ meine bloßen Waden sehen.“ Mit diesem Satz und dem konsequenterweise darauf erfolgten Diebstahl einer Jeanshose von einem Balkon leitet Temur Babluani sein rasantes Epos ein. In Tbilissi wächst der junge Dschude auf, mit durchschnittlicher schwieriger Biografie, aber talentiert in kleinen Gaunereien und Hals über Kopf verliebt in seine Freundin Manuschaka. Die georgische Hauptstadt wird von mafiösen Clans und allgegenwärtigen Spitzeln des KGB gleichermaßen beherrscht, ein gesundes Misstrauen gegenüber allen empfiehlt sich daher dringend. Mit den kriminellen Machenschaften eines Freundes wird auch Dschude Schritt für Schritt tiefer in die Machenschaften des organisierten Verbrechens hineingezogen und schließlich für einen Mord verantwortlich gemacht, den er nicht begangen hat. Es beginnt eine jahrzehntelange Odyssee durch sibirische Gefangenenlager, Strafbergwerke und weitere Institutionen eines willkürlich demütigenden Justizapparats, aus denen ihm mehrmals temporär die Flucht geling. Als Dschude nach 14 Jahren Delirium in einer kasachischen Nervenklinik erwacht, ist der Zerfall der Sowjetunion bereits abgeschlossen und auch die Rückkehr nach Georgien erweist sich als eine Reise in ein verändertes Land. Mit viel Drive und Witz erzählt „Sonne, Mond und Kornfeld“ eine kafkaesk anmutende Biografie in einem historischen Panorama, das vom totalitären Einparteienstaat bis zur georgischen Rosenrevolution reicht. Babluanis Debütroman – im Hauptberuf ist er Regisseur – überzeugt dabei als filmreifes Drehbuch, das Anleihen am Gonzojournalismus ebenso wie an Gaunerkomödien oder der Gulagliteratur nimmt, fantastische Elemente aufweist und mitunter als gesellschaftliche Parabel wirkt. 500 Seiten stark ist Babluanis Roman auch ein Zeitzeugenbericht postsowjetischer Transitionsprozesse, des Nation-Building und widersprüchlich anlaufender Demokratisierung: „Früher haben die Kommunisten alles geplant und entschieden, Privatbesitz war verboten. Jetzt ist alles anders, ihr seid frei, könnt tun, was ihr wollt, heißt es, bloß, was soll einer tun, wenn er nie seinen eigenen Verstand einsetzen musste außer bei irgendwelchen Gaunereien?“ Die Politische Ökonomie des jungen Georgien ist dabei von auffallenden Kontinuitäten geprägt: Korruption, Patronage, Oligarchie und russlandfreundliche Eliten begleiten Dschude ein ganzes Leben. Dass „Sonne, Mond und Kornfeld“ trotzdem nicht dem Zynismus verfällt, ist letztlich seinem reichhaltigen Figurenensemble zu verdanken, das auch unbedingte Hilfsbereitschaft, starke Freundschaften und widerständige Solidarität kennt.