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Mein Name ist Estela


Cover des Buches
  • Buch
  • Trabucco Zerán, Alia
  • Hanser, 2024. - 239 Seiten

Der zweite Roman der erfolgreichen chilenischen Autorin Alia Trabucco Zerán erzählt sieben Jahre aus dem Leben der Hausangestellten Estela. Ausgangspunkt des Romans ist ein schrecklicher Verdacht: Estela könnte das Mädchen ihrer reichen Arbeitgeber_innen getötet haben. So muss sie nun – mehr Monolog, als Verhör – Zeugnis ablegen: „Notieren Sie bitte, was es dort drinnen alles gab, vielleicht ist das irgendwie von Bedeutung: ein Einzelbett, einen kleinen Nachttisch, ein Lämpchen, eine Kommode, einen alten Fernseher. In der Kommode sechs Schürzen: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag. (…) Und dort lebte ich sieben Jahre lang, auch wenn ich es nie, nicht ein einziges Mal, »mein Zimmer« nannte. Schreiben Sie das in Ihre Akten, na los, keine falsche Scheu: »Weigerte sich kategorisch, den Raum als ihr Zimmer zu bezeichnen«. Und am Rand fügen Sie noch hinzu: »Weigerung«, »Ressentiment«, »mögliches Tatmotiv«.“

Estela tritt als Haushälterin in die Dienste der Familie ein, als das kleine Mädchen namens Julia geboren wird. Sieben Jahre lang sorgt sie tagein-tagaus für die Familie und verrichtet gewissenhaft ihre Tätigkeiten. Vor allem aber beschäftigt sie sich mit dem Mädchen. So spricht sie das Mädchen mit ihrem ersten Worte – Nana – an. Doch jeder Versuch einer engeren Bindung zwischen Estela und dem Kind scheitert an der ehrgeizigen Mutter und dem autoritären Vater. Oft sieht die Hausangestellte nach dem Verlust ihrer eigenen Mutter ihre Einsamkeit und Traurigkeit in dem Mädchen gespiegelt. In Form eines Kammerspiels werden in dem Roman geschlechtsspezifische Ausbeutung in der Care-Arbeit, einzementierte Klassenunterschiede und Machtasymmetrien zwischen reicher Oberschicht und Prekariat dargelegt: „Er kam in die Küche, ohne mich anzusehen, und teilte mir von jenseits der Zimmertür mit, er habe einen Scheck auf den Tresen gelegt. Es gibt Grenzen, sagte er. Für alles gab es eine Grenze. Der Scheck liegt immer noch dort, schaut ruhig nach. Ein Scheck für einen Monat, damit ich binnen dreißig Tagen eine andere Anstellung fände und Kackreste aus einem anderen Klo eines anderen Hauses einer anderen hochwohlgeborenen Familie kratzte.
Ebenso bietet der Roman aber auch eine emanzipatorische Lesart an: Estela erzählt ihre eigene Geschichte, behält ihre Selbstachtung, hat Zukunftsperspektiven. Das Ende des Romans lässt Raum für Interpretation. (Monika Pitsch)