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Abschied vom Pazifismus?


wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann

Cover des Buches
  • Buch
  • Ludwig, Johannes
  • Herder, 2024. - 208 Seiten

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Gewissheiten auf den Kopf gestellt, die – trotz erkennbarer Erosionserscheinungen zuvor – als selbstverständlich galten und rhetorisch beschwört wurden: „Der Glaube, dass hegemoniale Machtansprüche durch ein multilaterales und institutionalisiertes System eingehegt werden könnten, hatte sich mit einem Schlag als Illusion erwiesen.“ Ein territorialer Expansionskrieg auf dem europäischen Kontinent schien lange Zeit unvorstellbar, weshalb die Ereignisse 2022 auch als „Zeitenwende“ rezipiert wurden. Einen Umbruch hält Johannes Ludwig auch für die Friedensbewegung notwendig, befände sich diese doch in einer „Glaubwürdigkeitskrise“: „Die mangelnde Abgrenzung gegenüber rechtsradikalen Kräften, populistische Diskursstrategien und ein angestaubtes Image verhindern zunehmend, dass die Friedensbewegung ihren Zielen gerecht werden kann.“ So würden alte Mantras an der Komplexität neuer Kriege zerschellen, überholte ideologische Konfrontationsmuster nicht selten in Verschwörungstheorien abdriften und (einstige) Proponent_innen der Friedensbewegung fragwürdige Allianzen mit demokratiefeindlichen Akteur_innen eingehen. Ganz insgesamt konstatiert Ludwig den Verlust der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit, der sich etwa eklatant im Kontrast mit der Klimabewegung äußere. Der Verfasser möchte sich jedoch nicht auf Diagnosen der Defizite und Risiken beschränken, sondern auch Perspektiven und Handlungsoptionen für eine zukunftsfähige und realitätsnahe Friedensbewegung formulieren. Diesen Anspruch löst er mit einer strukturierten Herangehensweise und differenzierten Betrachtungen ein: Zunächst erfolgt eine Diskussion der Grundlagen, so werden einerseits terminologische Fragen geklärt und die historische Genese des Friedensbegriffs nachgezeichnet, andererseits die Herausbildung der Friedensbewegung (stets als Sammelbegriff gemeint) seit dem späten 19. Jahrhundert skizziert. Anschließend unternimmt der Politikwissenschaftler eine kritische Bestandsaufnahme und Einordnung der gegenwärtigen Friedensbewegung, bevor er auf populistische (und etwa auch antisemitische) Fahrwasser eingeht, in welche die Bewegung teilweise gerät. Hier mahnt Ludwig insbesondere Verhältnismäßigkeit und differenzierte, faktentreue Positionierung ein: „Die Friedensbewegung muss sich zur Aufgabe machen, Komplexitäten anzuerkennen, ethische Dilemmata erst zu nehmen und Ambiguitäten auszuhalten.“ Das letzte Hauptkapitel widmet sich der Frage, was die Friedensbewegung von der Klimabewegung (exemplarisch behandelt anhand von Fridays for Future und der Letzten Generation) lernen könne. Hier erkennt Ludwig v.a. Kreativität und adaptive Proteststrategien als zentrale Faktoren. Abschließend resümiert er die im Fortgang des Bandes beschriebenen Reformpotenziale, so plädiert er etwa für eine stärkere Beschäftigung mit ethischen Vorausetzungen, als auch für sachliche und verhältnismäßige Strategien sowie einen positiven Deutungsrahmen. Es bedürfe jedoch auch einer glaubwürdigen Distanzierung von radikalisierten Akteur_innen und einer Emanzipation von nicht mehr zeitgemäßen Überzeugungen – andernfalls laufe die Bewegung Gefahr, „jegliche sicherheitspolitische Realität in die immer gleichen Interpretationsmuster zu pressen und damit Scheindebatten zu führen.“ Deutlich macht Ludwig in „Abschied vom Pazifismus“, dass die Friedensbewegung kein homogener Block ist, sondern als Sammelbegriff für heterogene Gruppen und widersprüchliche Positionen funktioniert. Wie sich diese zukünftig behaupten können, hängt letztlich stark von deren Visionen ab: „Es besteht eben doch ein gewaltiger Unterschied zwischen einer Anti-Kriegs-Bewegung und einer Friedensbewegung.