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Die Rückkehr der Ungleichheit


Sozialer Wandel und die Lasten der Vergangenheit

Cover des Buches
  • Buch
  • Savage, Michael
  • Hamburger Edition, 2023. - 463 Seiten

Anfang des neuen Jahrtausends schien Ungleichheit ein Nischenthema zu sein, für das sich nur wenige interessierten, leitet Mike Savage seinen Band ein. Die Erosion der bipolaren Weltordnung, die voranschreitende Integration der Weltwirtschaft und die rasant wachsende Wissensökonomie nährten liberale Hoffnungen auf Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt: „Wenn man von der drohenden Gefahr des Klimawandels absah, hatte es den Anschein, als würde das 21. Jahrhundert vielen das gute Leben bringen.“ Zwei Jahrzehnte später scheint diese Zuversicht fremd – und Ungleichheit ein zentrales Paradigma geworden, um gegenwärtige Krisen und Probleme festzumachen. Eine richtige „Ungleichheitsindustrie“ sei dabei entstanden, hält Savage in Bezug auf die Allgegenwart des Themas und unzählige Expert_innen im Fahrwasser dieser Konjunktur fest. Sein Band hat die soziologische Einordnung der Debatten über Ungleichheit zum Ziel, die auch mit der Schärfung des überfrachteten Begriffs und der Überwindung konventioneller Denkmuster einhergehen muss. Vor allem verwehrt sich der Soziologe gegen teleologische Modernisierungstheorien und Vorstellungen linearer Zustände von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ungleichheit könne nicht als ahistorischer und isolierter Begriff verstanden werden, sondern müsse auch die Rückkehr und verstärkende Dynamiken historischer Formationen von Ungleichheit berücksichtigen. So ließe sich eine Renaissance längst überwunden geglaubter Verhältnisse von dynastischen Privilegien, Elitismus und Imperialismus beobachten. Tatsächlich erkennt er die Welt an einem historischen Scheideweg: „Wir stehen vor einer Welt, die vom akkumulierten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Schutt der Jahrhunderte übersät ist, vor einer Welt, in der die Trümmerhaufen und Wracks der Vergangenheit wachsende Macht über Gegenwart und Zukunft haben.“

Die Struktur seines Bandes vergleicht Savage dabei mit jener einer Matroschka – nach und nach wird eine Puppe freigelegt, die wieder eine andere beinhaltet und letztlich zum Kern, also dem Verständnis von sozialem Wandel und Ungleichheit, führt. Im ersten Teil diskutiert der Soziologe wesentliche konzeptionelle Fragen unter Bezugnahme auf zentrale Beiträge von Thomas Piketty, Karl Marx und Pierre Bourdieu, und plädiert dabei für ein einen räumlichen Ansatz, der Aspekte von Temporalität, Geschichte und Dauer berücksichtigt. Im zweiten Abschnitt steht die „Geopolitik der gegenwärtigen Ungleichheit“ im Vordergrund, unter deren Titel Savage unterschiedliche Ausformungen, Dimensionen und Zusammenhänge von Ungleichheit behandelt, um daraus eine Synthese zu schaffen. Thema sind hier etwa Städte als Produkte und Produzentinnen von Ungleichheit gleichermaßen, Kontinuitäten von Rassismen und Sexismen, die Rückkehr des Imperialismus oder der geringe Stellenwert von sozialer Klasse in der Gegenwart. Der dritte und letzte Abschnitt befasst sich schließlich mit Ungleichheitspolitik, wobei weniger konkrete Ansätze oder Instrumente im Vordergrund stehen, als vielmehr ein umfassendes, radikales Programm „Wir müssen eine historische Perspektive einnehmen, die der Bedeutung der Dauer gerecht wird, und den Kampf gegen die Ungleichheit als Teil einer umfassenderen Politik der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit betrachten. Die Ungleichheit geht Hand in Hand mit der Akkumulation von Kapital, Vermögen und Ressourcen, in der ältere historische Formen zum Vorschein kommen. Nur so wird es uns gelingen, einen geeigneten Rahmen zu entwickeln, um diese historischen Kräfte effektiv zu nutzen, während wir uns bemühen, eine nachhaltige Zukunft zu errichten.