Militärische Missionen
Rechtfertigungen bewaffneter Auslandseinsätze in Geschichte und Gegenwart
- Buch
- Zimmermann, Hubert
- Hamburger Edition, 2023. - 487 Seiten
Mit dem Bürgerkrieg in Syrien, der russischen Annexion der Krim-Halbinsel sowie dem Angriffskrieg auf die Ukraine in weiterer Folge sieht Hubert Zimmermann eine Periode umfassender Interventionen zu Ende gegangen, die Gegenwart sei von Zurückhaltung oder gar „Anti-Interventionismus“ geprägt. Im historischen Vergleich sei dies freilich kein Novum und ohnehin stehe fest, dass militärische Missionen solange als Instrument der internationalen Politik überdauern würden, solange die Welt als internationales System auf Grundlage von Nationalstaaten organisiert sei. Dem Politikwissenschaftler geht es im vorliegenden Band jedoch nicht um den Verlauf, das Gelingen oder den Misserfolg von solchen Interventionen, sondern um die Debatten rund um deren Legitimierung: Wie werden militärische Missionen begründet? Gibt es einen Wandel in den Motivlagen und Argumentationen zu deren Rechtfertigung? Welche Konflikte, welche Widersprüche haben Kontinuität? Im ersten Teil des Bandes beschäftigt sich Zimmermann mit der Entstehung dieses Instruments, das er durch die Behauptung altruistischer Intentionen, die zeitliche Begrenzung sowie eine multilaterale Absicherung bzw. Mandatierung charakterisiert. In diesem Abschnitt zeichnet er etwa die religiösen Wurzeln militärischer Auslandsinterventionen nach, diskutiert die Bedeutung des Souveränitätsbegriffs im Zuge der Herausbildung moderner Nationalstaatlichkeit und interessiert sich für Perspektiven afrikanischer oder asiatischer Gesellschaften bei der Rechtfertigung militärischer Interventionen. Zusätzlich analysiert der Verfasser Konjunkturen von (Nicht-)Intervention der internationalen Gemeinschaft im Zeitalter der Weltkriege, des Kalten Kriegs sowie der jüngeren Vergangenheit bis hin zur Diskussion um das Konzept der Schutzverantwortung („R2P“) und dem gegenwärtig vorherrschenden Anti-Interventionismus. Der zweite Teil konzentriert sich anschließend auf innerstaatliche Debatten und Aushandlungsprozesse, die letztlich ausschlaggebend dafür sind, ob Auslandsinterventionen zustande kommen. Die gewählten Beispiele betreffen mit den USA, Deutschland und Frankreich dabei einige jener Staaten mit besonders hoher Beteiligung an militärischen Missionen bzw. entsprechenden Koalitionen, die diskutierten Deutungskämpfe illustrieren dabei jedoch auch die Bandbreite der möglichen Motive und Argumentationen, die mit nationalen Interessen (etwa Terrorismusbekämpfung, wirtschaftliche Interessen oder die Sicherung von Einflussbereichen) und Konzeptionen der eigenen Identität in engem Zusammenhang stehen. Besonders „interventionsfreudig“ seien demnach Gesellschaften mit kosmopolitischen Narrativen, während kommunitaristische Staaten tendenziell gegen Interventionen eingestellt seien. Auch kennzeichnet Zimmermann Ambivalenzen etwa in der altruistischen Legitimation insofern, als „bei fast allen militärischen Interventionen zwei Zielsetzungen nahezu untrennbar verknüpft sind: der Schutz von Individuen und Gruppen innerhalb von Staaten (humanitäre Intervention) und die Sicherheit von Staaten als Teil eines regionalen oder globalen Systems (kollektive Sicherheit). Wir haben gesehen, wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Präferenzen für diese Ordnungsprinzipien wandelten. In vielen prointerventionistischen Argumenten verstärken sich diese beiden Zielsetzungen gegenseitig. Häufig treten sie aber auch in einen eklatanten Widerspruch. Ein Beispiel ist die Libyen-Intervention, die präventiv massive Menschenrechtsverletzungen verhindern sollte, aber regionale Instabilität und internationale Spannungen auslöste.“ Dass es keine global akzeptierte Interventionsgemeinschaft mit klaren Regeln und Standards von Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit gebe, liege letztlich auch in einem Spannungsfeld dreier nur schwer miteinander in Einklang zu bringender Prinzipien begründet – nämlich der humanitären Pflicht zu Schutz und Wahrung der Menschenrechte, der nationalen Selbstbestimmung und Souveränität, sowie der Realität eines internationalen Systems, in der es keine supranationale Autorität gebe, welche Schutzverantwortung wahrnehme und als Sicherheitsgarant fungiere.