Kapitalismus ohne Demokratie
wie Marktradikale die Welt in Mikronationen, Privatstädte und Steueroasen zerlegen wollen
- Buch
- Slobodian, Quinn
- Suhrkamp, 2023. - 427 Seiten.
Es sei ein Irrtum, die Welt im Sinne eines Globus nur als Puzzle nationalstaatlicher Territorien zu sehen, leitet der Historiker Quinn Slobodian sein neues Buch ein und verweist dabei auf die Fragmentierung aufgrund vieler verschiedener Sonderzonen: „Historikerinnen und Sozialwissenschaftler rufen uns in Erinnerung, dass die moderne Welt pockennarbig, durchlöchert, verbeult und ausgefranst, zerrissen und mit Stecknadeln gespickt ist. Innerhalb der nationalen Container findet man ungewöhnliche Rechtsräume, anormale Territorien und eigentümliche Zuständigkeitsbereiche. Da sind Stadtstaaten, Steueroasen, Enklaven, Freihäfen, Technologieparks, Zollfreibezirke und Innovationszentren.“ Diese Zonen haben teils andere Gesetze, Ausnahmeregelungen für Zölle oder geringere arbeitsrechtliche Standards als das sie umgebende Territorium. Mit Verweis auf den Investor Peter Thiel („Wenn wir mehr Freiheit wollen, sollten wir die Zahl der Länder erhöhen.“) skizziert Quinn den Zusammenhang dieser – von ihm „Perforation“ genannten – Entwicklung mit ultralibertären Ideen und Versuchen, politischer Regulierung und vor allem Steuerregimen zu entkommen. Als „Crack-up-Kapitalismus“ versteht er daran anknüpfend zweierlei: einerseits den Ist-Zustand einer fragmentierten Welt, wie er sich aus den unkoordinierten Handlungen vieler privater Akteur_innen (häufig mit Unterstützung neoliberaler Regierungen) in den letzten vier Jahrzehnten ergeben hat. Zum anderen steht hinter diesem Begriff aber auch ein bewusstes ideologisches Programm, das eine (markt-)radikale Opposition zur Demokratie einnimmt. Sein Band „Kapitalismus ohne Demokratie“ tritt die Reise zu den vielen unterschiedlichen Schauplätzen und historischen Stationen der beschriebenen Entwicklung an, angefangen beim vielfach als Muster geltenden Stadtstaat Hongkong. Zwar befinden sich viele der Zonen im Globalen Süden, vorangetrieben werden sich jedoch dennoch meist von westlichen Akteur_innen unter Ausnutzung schwacher Staatlichkeit oder kolonialer Kontinuitäten. Die vorgestellten Beispiele finden sich in großen Ländern (Südafrika, China) ebenso wie auf kleinen Inseln (Singapur), in Territorien kriegerischer Konflikte (Horn von Afrika) ebenso wie in verschlafenen Zwergstaaten (Liechtenstein), pulsierenden Metropolen (City of London) oder virtuellen Welten (Metaverse). Ebenso illustrieren Slobodians Beispiele, an welchen unterschiedlichen Stufen einer Wertschöpfungskette sich Zonen befinden können. Anschaulich skizziert Slobodian strukturelle Entstehungsbedingungen und spezifische Strategien der untersuchten Zonen, kennzeichnet Verantwortlichkeiten, Profiteur_innen und externalisierte Kosten, verdeutlicht Zusammenhänge mit autoritären Politiken, kolonialen Kontinuitäten und globalen Ungleichheiten. Resümierend spannt der Verfasser abschließend wieder den Bogen zum einleitenden Beispiel des Stadtstaats Hongkongs und dekonstruiert die neoliberale Utopie einer libertären Zone: „Aller Rhetorik zum Trotz befreien Zonen niemandem vom Staat. Sie sind Werkzeuge des Staates.“