Der indigene Kontinent
Eine andere Geschichte Amerikas
- Buch
- Hämäläinen, Pekka
- Kunstmann, 2023. - 651 Seiten.
In der populären Geschichtsschreibung hält sich eine hegemoniale Erzählung, die in etwa so lautet: Der Seefahrer Christopher Kolumbus entdeckt 1492 versehentlich eine fremde, rohstoffreiche „Neue Welt“ und setzt damit eine jahrhundertelange andauernde Ära kolonialer Ausbeutung und europäischen Imperialismus in Gang. In diesen vier Jahrhunderten bis zum Massaker am Wounded Knee 1890 wird die indigene Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents von den Kolonisten mehr und mehr enteignet, vertrieben und getötet. In diesen Narrativen erscheinen Indianer_innen als zwar kreative und widerständige Gruppe, werden jedoch als hoffnungslos unterlegene Opfer europäischer Grausamkeit und Zivilisation dargestellt. Die Zerstörung indigenen Lebens und die Übernahme des Kontinents ist dabei der Kulminationspunkt eines linearen Prozesses.
Der Historiker Pekka Hämäläinen legt mit „Der indigene Kontinent“ den Gegenentwurf zu dieser Erzählung vor und dekonstruiert den Mythos vom „kolonialen Amerika“: Die riesigen Territorien Nordamerikas seien dabei unterschiedlich stark von imperialistischer Expansion durchdrungen gewesen und wenngleich die europäischen Mächte fast den gesamten Kontinent für sich beanspruchten, so sei dies doch keinesfalls gleichbedeutend mit faktischer Kontrolle zu werten. Er zeigt in seiner umfassenden und anschaulichen Darstellung, wie indigenes Leben den verschieden Kolonialismen lange trotzte, westliche Herrschaftsformen unterlief und erfolgreich eigene Strategien sowie Handlungsspielräume besetzte. Solcherart wird die indigene Bevölkerung vom Objekt kolonialer Bestrebungen zu souverän handelnden Akteur_innen mit selbstständiger Agenda, die trotz der Präsenz europäischer Kolonisator_innen jahrhundertelang Macht über Territorien ausübten, indigene Lebensweisen tradierten und auch unterschiedliche Bündnisse mit den Euroamerikaner_innen eingingen. Während sich der Untersuchungszeitraum zwar auf die ersten etwa vier Jahrhunderte nach 1492 bezieht, so ergänzt Hämäläinen eingangs auch eine Skizze der „ersten siebzig Jahrtausende“ des indigenen Kontinents, in denen er etwa auf Schöpfungserzählungen, egalitäre Gesellschaftsstrukturen sowie horizontale Hierarchien und ausbalancierte Wirtschaftsstrukturen eingeht. Lebendig geschildert wird insgesamt die Resilienz und Kontinuität indigenen Lebens auf einem Kontinent, in dessen Geschichte die Vereinigten Staaten „ein bloßer Fleck auf einer indigenen Zeitskala“ bleiben.