Der Wert der Arbeit
Das Leistungsprinzip in Arbeitskämpfen zwischen Zentrum und Peripherie
- Buch
- Simim, Thiago A.
- Campus, 2023. - 284 Seiten.
Zwar sei die Ära großer Industriestreiks Vergangenheit, doch hätten Arbeitsniederlegungen nach wie vor große Relevanz, leitet der Verfasser seine Studie ein: So seien in den letzten zehn Jahren vermehrt Streiks in den beiden untersuchten Ländern Deutschland und Brasilien zu beobachten, vor allem im Bereich des Dienstleistungssektors. So erwähnt Thiago Aguiar Simim etwa Streiks von Lokomotivführer_innen oder Beschäftigten im Einzelhandel für das Beispiel Deutschlands, in Brasilien nennt er u.a. Streiks von Straßenkehrer_innen, Lehrer_innen oder Busfahrer_innen. Das Interesse seiner Studie bezieht sich zunächst darauf, wie Beschäftigte das normative Prinzip der „Leistung“ in diesen Arbeitskämpfen zur Legitimation ihrer Ansprüche und Forderungen anwenden. Davon ausgehend überlegt Simim, ob und welche emanzipatorischen Potenziale der Gesellschaftskritik diesem Leistungsprinzip innewohnen. Dieses Anliegen bearbeitet er empirisch, indem er etwa Streiktexte, Tarifverträge oder mediale Diskurse auswertet, aber auch Expert_innen-Interviews mit Streik-Akteur_innen führt Simim durch. Dabei wird schnell deutlich, dass das Leistungsprinzip umstritten und in seiner konkreten Bedeutung diffus ist. Beschäftigte haben, vor allem abhängig von Tätigkeit und Qualifikation, unterschiedliche Erfahrungen und Vorstellungen von „Leistung“ – Streiks und deren Motivation („Leistung“) können somit sehr verschiedenartig argumentiert werden. Die komparative Analyse Brasiliens und Deutschlands zeigt ebenfalls erkennbare Unterschiede, die sich wie folgt abstrahieren lassen: „So spielt etwa in Brasilien bei der öffentlichen Legitimierung von Streiks und Arbeitskämpfen viel stärker als in Deutschland die Betonung des gesellschaftlichen Werts einer Tätigkeit eine tragende Rolle; insgesamt beruft man sich hier daher eher auf die Ertrags- oder Ergebnisseite der reklamierten Leistungen, um deren soziale Relevanz hervorheben zu können, während man in Deutschland tendenziell stärker die Aufwandsseite, also Faktoren wie Belastung, Arbeitszeit oder Risiko, betont, um auf diese Weise Forderungen nach Gleichstellung mit besser gestellten Berufsgruppen rechtfertigen zu können.“ Dieser Ergebnisse verweisen auch auf historische Pfadabhängigkeiten und unterschiedliche Entwicklungsverläufe, schließlich habe sich der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft in Brasilien abrupter vollzogen als beim Beispiel Deutschlands mit einer langen Phase der Industrialisierung. Rassifizierte Arbeitsverhältnisse seien wiederum in Brasilien von besonderer Bedeutung. Insgesamt zeigt Simim nicht nur auf, welche unterschiedlichen Narrative mit der Adressierung des „Leistungsprinzips“ bedient werden können – er bettet diese gesellschaftstheoretisch ein und formuliert Perspektiven der Kritik und Emanzipation, diskutiert Widersprüchlichkeiten des Leistungsprinzips und veranschaulicht en passant auch globale Machtverhältnisse von Zentrum und Peripherie im kapitalistischen Weltsystem.